Teil 2: Das „Super­wahl­jahr“ 1953

Am 6. März 1953 erschien die erste Ausga­be des Amtsblatts „Bürger und Gemein­de“. In einer Serie unregel­mä­ßig erschei­nen­der Beiträ­ge blickt die Amtsblatt­re­dak­ti­on seit dem Jubilä­ums­jahr 2013 zurück in die damali­ge Zeit, ihre politi­schen Hinter­grün­de und ihre wichti­gen gesell­schaft­li­chen Themen. Heute folgt der zweite Teil, der das „Super­wahl­jahr“ 1953 beleuchtet.

Im ersten Teil unserer Retro­spek­ti­ve, der am 23. August 2013 in „Bürger und Gemein­de“ Nr. 34 erschien, wurden die Gründe und Hinter­grün­de aufge­zeigt, die schließ­lich zur Heraus­ga­be des Amtsblatts „Bürger und Gemein­de“ im Jahr 1953 führten. Nach dem Krieg suchte man neue Formen und Möglich­kei­ten, die Bürger­schaft zu infor­mie­ren und sie in das kommu­nal­po­li­ti­sche und gesell­schaft­li­che Gesche­hen inner­halb der Gemein­de einzu­be­zie­hen. Der zweite Teil befasst sich mit dem „Super­wahl­jahr“ 1953.

Die frühen 1950er Jahre in Deutsch­land waren noch immer gekenn­zeich­net von den Folgen des Zweiten Weltkriegs. Das Saarland z.B. wurde nach 1945 zu einer autono­men exter­ri­to­ria­len Zone erklärt, die unter dem Protek­to­rat Frank­reichs stand. Erst nach einer Volks­ab­stim­mung wurde es 1957 wieder angegliedert.

Die sowje­ti­sche Besat­zungs­zo­ne, aus der später die Deutsche Demokra­ti­sche Republik – DDR hervor­ging, wurde von der sowje­ti­schen Besat­zungs­macht syste­ma­tisch abgerie­gelt. Trotz­dem gelang vielen Menschen die Flucht in die westli­chen Besat­zungs­zo­nen. Beson­ders im kleinen Oberko­chen hielt der Zustrom der Flücht­lin­ge, Vertrie­be­nen und Arbeits­su­chen­den an, die hier eine neue Heimat und Arbeit suchten. Es war sicher­lich eine der heraus­ra­gen­den Leistun­gen der damals politisch Verant­wort­li­chen und der gesam­ten Bürger­schaft Oberko­chens, all diese Menschen aufge­nom­men und integriert zu haben. Hierzu waren nämlich große Anstren­gun­gen notwendig.

Neben den noch immer spürba­ren Kriegs­fol­gen zeich­ne­te sich eine wirtschaft­li­che Entwick­lung ab, die man später als das deutsche „Wirtschafts­wun­der“ bezeich­ne­te. Es war die Zeit des wirtschaft­li­chen und politi­schen Wieder­auf­baus, in der u.a. die Struk­tu­ren unseres heuti­gen Staates neu festge­legt wurden. Es ging aufwärts. Der Blick war nach vorne gerich­tet, und man schloss mit der Vergan­gen­heit allmäh­lich ab. Dies belegt z.B. eine amtli­che Bekannt­ma­chung im Amtsblatt „Bürger und Gemein­de“ vom 24. Dezem­ber 1953. Dort war zu lesen:

„Das Justiz­mi­nis­te­ri­um Baden-Württem­berg weist zum Abschluß der politi­schen Säube­rung darauf hin, daß das am 16. Juli 1953 verkün­de­te Gesetz zur einheit­li­chen Beendi­gung der politi­schen Säube­rung eine wesent­li­che Verbes­se­rung der Rechts­stel­lung der Perso­nen bringt, die seiner­zeit als Minder­be­las­te­te, Mitläu­fer oder Entlas­te­te einge­stuft waren. Ihnen wird vom Justiz­mi­nis­te­ri­um … auf Antrag die Beschei­ni­gung ausge­stellt, dass sie als „nicht mehr betrof­fen“ im Sinne der politi­schen Säube­rungs­ge­set­ze gelten. …“

Damit erhiel­ten vor allem dieje­ni­gen Perso­nen einen „Persil­schein“, die während der Zeit des Natio­nal­so­zia­lis­mus keine beson­de­ren Funktio­nen in Politik oder Verwal­tung ausüb­ten oder nicht unmit­tel­bar an Kriegs- oder politisch motivier­ten Verbre­chen betei­ligt waren. Die sog. „Entna­zi­fi­zie­rung“ war damit endgül­tig abgeschlossen.

1953 war ein Jahr der Wahlen in Oberko­chen. Das erst ein Jahr zuvor aus der „Fusion“ der Länder Württem­berg-Baden, Württem­berg-Hohen­zol­lern und Baden entstan­de­ne neue Bundes­land Baden-Württem­berg musste sich zunächst einmal eine innere Verfas­sung geben. Hierzu wurde eine Verfas­sungs­ge­ben­de Landes­ver­samm­lung gebil­det, die durch eine Volks­wahl am 9. März 1952 legiti­miert wurde. Am 22. Mai 1953 wurde das Wahler­geb­nis für Oberko­chen im Amtsblatt „Bürger und Gemein­de“ bekannt­ge­ge­ben. 2720 wahlbe­rech­tig­te Einwoh­ner wählten demnach

die CDU mit 858 Stimmen (31,5%),
die SPD mit 588 Stimmen (21,5%),
die DVP mit 162 Stimmen (6,0%),
die BHE mit 103 Stimmen (4,0%),
die DG-BHE mit 89 Stimmen (3,0%),
die KPD mit 51 Stimmen (2,0%) und
die SRP mit 37 Stimmen (1,5%).

Südwest­deutsch­land nach dem Zweiten Weltkrieg bis 1952 (Quelle: Landes­ver­mes­sungs­amt Baden-Württemberg)

Die großen Partei­en CDU und SPD waren also schon damals wichti­ge politi­sche Kräfte. Die Deutsche Volks­par­tei – DVP ging wenig später in der nach dem Krieg gegrün­de­ten FDP auf. Der Bund der Heimat­ver­trie­be­nen und Entrech­te­ten – BHE, die Deutsche Gemein­schaft – DG, die mit dem BHE eine separa­te Listen­ver­bin­dung namens DG-BHE einging und die neona­zis­ti­sche Sozia­lis­ti­sche Reichs­par­tei – SRP waren kleine­re Partei­en, die aller­dings teilwei­se bis in die 1960er Jahre hinein politi­sche Bedeu­tung hatten. Die Kommu­nis­ti­sche Partei Deutsch­lands – KPD war bis zu ihrem Verbot durch das Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt im Jahr 1956 ebenfalls eine ernst­zu­neh­men­de politi­sche Kraft, auch in Oberko­chen. Es gab sogar eine eigene KPD-Ortsgrup­pe, deren Vorsit­zen­der der Schlos­ser Willi Motsch war. Übrigens lag die Wahlbe­tei­li­gung in Oberko­chen bei der Wahl zur Verfas­sungs­ge­ben­den Landes­ver­samm­lung bei rund 70%, denn nur 30,5% der Wahlbe­rech­tig­ten hatten keine oder ungül­ti­ge Stimmen abgege­ben; für heuti­ge Verhält­nis­se eine Traumquote.

Im Herbst 1953 fanden gleich mehre­re Wahlen statt. Am 6. Septem­ber 1953 wurde der 2. Deutsche Bundes­tag gewählt. In Oberko­chen waren zu dieser Zeit bereits 3184 Perso­nen wahlbe­rech­tigt. Mehr als die Hälfte aller Erststim­men, nämlich 1748, entfie­len auf den damali­gen CDU-Bundes­tags­kan­di­da­ten Dr. Rudolf Vogel. Hans Geiger, der Spitzen­kan­di­dat der SPD, erhielt 579 Stimmen; Dr. Ewald Bucher von der FDP/DVP kam auf 144 Stimmen und Josef Janota von der BHE erziel­te 181 Stimmen. Die KPD kam in Oberko­chen immer­hin auf 29 Stimmen.

Die Wahlbe­tei­li­gung lag übrigens bei sagen­haf­ten 89,5%! Es gab also noch keine „Politik­ver­dros­sen­heit“ oder „Wutbür­ger“, die alle mögli­chen Argumen­te für ihre Protest­hal­tung oder für das Nicht­wäh­len gefun­den hätten, obwohl die beschei­de­nen Lebens­ver­hält­nis­se, die damals herrsch­ten, mögli­cher­wei­se eher Anlass zu Unzufrie­den­heit gegeben hätten. Die Menschen waren trotz aller Umstän­de zufrie­de­ner, beschei­de­ner – eben anders.

Die Bundes­tags­wah­len 1953 brach­ten keine beson­de­ren Überra­schun­gen. Im Bundes­tag zeich­ne­ten sich mit dem „Drei-Partei­en-System“ aus CDU, SPD und FDP bereits dieje­ni­gen partei­po­li­ti­schen Struk­tu­ren ab, die in Deutsch­land – in wechseln­den Koali­tio­nen – über Jahrzehn­te hinweg stabi­le politi­sche Verhält­nis­se garantierten.

Inter­es­san­ter waren dagegen die kommu­na­len Wahlen in Oberko­chen. Zunächst wurde am 18. Oktober der Bürger­meis­ter gewählt. Einzi­ger Bewer­ber war der damali­ge Amtsin­ha­ber, Gustav Bosch, der am 5. März 1948 als erster unmit­tel­bar vom Volk gewähl­ter Bürger­meis­ter der Nachkriegs­zeit seinen Dienst in Oberko­chen angetre­ten hatte. Seine erste Amtszeit betrug nach den damals gelten­den gemein­de­recht­li­chen Vorschrif­ten 6 Jahre. Dies war sowohl für den badischen als auch für den württem­ber­gi­schen Landes­teil ungewöhn­lich und nur mit den beson­de­ren Verhält­nis­sen der Nachkriegs­zeit zu erklä­ren. Die Regelung ging zum Teil auf den unmit­tel­ba­ren Einfluss der Besat­zungs­mäch­te mit ihren eigenen Vorstel­lun­gen von Demokra­tie zurück.

In der eingangs bereits erwähn­ten Verfas­sungs­ge­ben­den Landes­ver­samm­lung für Baden-Württem­berg wurde am 7. Juli 1953 u.a. eine neue Gemein­de­ver­fas­sung erlas­sen, in der auch die Amtszei­ten der Oberbür­ger­meis­ter und Bürger­meis­ter im Land neu geregelt wurden. Demnach wurden die Amtszei­ten auf 8 Jahre für die erste und 12 Jahre für die zweite Amtspe­ri­ode festge­legt. Heute beträgt die Amtspe­ri­ode eines Oberbür­ger­meis­ters bzw. Bürger­meis­ters in Baden-Württem­berg einheit­lich 8 Jahre.

Bürger­meis­ter Gustav Bosch mit Amtskette

Im Vorfeld der Bürger­meis­ter­wahl sprachen sich neben den Heimat­ver­trie­be­nen, dem TVO sowie der Gemein­schaft der „Weingar­ten- und Diöze­san­sied­lung“ auch die politi­schen Partei­en CDU und SPD öffent­lich für eine Wieder­wahl Gustav Boschs aus und appel­lier­ten an die Bürger­schaft, ihm die Stimme zu geben. Der damali­ge SPD-Ortsvor­sit­zen­de Josef Marscha­lek forder­te z.B. in einem öffent­li­chen Aufruf, der am 9. Oktober 1953 in „Bürger und Gemein­de“ erschien, „alle Menschen guten Willens“ auf, am 18. Oktober ihre Stimme für Gustav Bosch abzuge­ben. Er verwies dabei auf die Leistun­gen des Bürger­meis­ters in den voran­ge­gan­ge­nen sechs Jahren und nannte hierbei vor allem die Ansied­lung des Weltun­ter­neh­mens Zeiss, das damals noch unter Zeiss Opton firmier­te, die Schaf­fung von Bauplät­zen und Wohnraum (die Einwoh­ner­zahl Oberko­chens stieg 1953 auf über 5000), den Neubau der Dreißen­tal­schu­le und der Dreißen­tal­hal­le (letzte­re diente nicht nur als Schul­sport­hal­le, sondern auch als Veran­stal­tungs­hal­le und damit als Ersatz für das sog. Martha-Leitz-Haus), den Neubau des Kinder­gar­tens Wiesen­weg (der 2014, also 62 Jahre später, dem neuen und größe­ren Kinder­haus Wiesen­weg weichen wird), die Errich­tung des Stadi­ons in der Kreuz­müh­le (das später den Namen „Carl Zeiss-Stadi­on“ erhielt) sowie den Ausbau der Straßen, der Wasser­ver­sor­gung, der Strom­ver­sor­gung und der Kanalisation.

Josef Marscha­lek nannte auch eine weite­re große Leistung Gustav Boschs, die aus heuti­ger Sicht eher unspek­ta­ku­lär erscheint, aber damals als wichti­ge und vordring­li­che Aufga­be angese­hen wurde, nämlich die Besei­ti­gung der Dungle­gen, also der „Misthau­fen“, in der Aalener und Heiden­hei­mer Straße. Noch heute erzäh­len die Menschen, die damals als Vertrie­be­ne, Flücht­lin­ge oder Arbeits­su­chen­de nach Oberko­chen kamen, dass ihr erster Eindruck von den vielen Dungle­gen geprägt wurde, die es beina­he vor jedem Haus in der Haupt­stra­ße gab. Oberko­chen war damals eben noch stark landwirt­schaft­lich geprägt und befand sich Anfang der 1950er Jahre in einem Wandlungs­pro­zess hin zu einer Industriestadt.

Das Thema mag heute oberfläch­lich betrach­tet als lächer­lich erschei­nen. Damals war es das aus vieler­lei Gründen nicht. Tatsäch­lich hatte es weitrei­chen­de Folgen und einen durch­aus ernsten Hinter­grund. Die Besei­ti­gung der Misthau­fen war so wichtig und nahm damals einen derart breiten Raum in der Kommu­nal­po­li­tik und den politi­schen Diskus­sio­nen in Oberko­chen ein, dass ihnen ein eigener Beitrag in unserer Serie anläss­lich des Rückblicks auf 60 Jahre Amtsblatt­ge­schich­te gewid­met werden soll.

Die Aufru­fe brach­ten den gewünsch­ten Erfolg. Von den 3013 Wahlbe­rech­tig­ten gaben 2530 ihre Stimme dem alten und neuen Bürger­meis­ter. Er wurde damit am 18. Oktober 1953 mit überwäl­ti­gen­der Mehrheit wieder­ge­wählt. Anlass für Erich Günther zu einigen Versen, die am 23. Oktober in „Bürger und Gemein­de“ unter der Überschrift „Tisch-Gesprä­che nach der Wahl“ erschienen:

Um neune rum, da füllt sich schnell
der Hirsch sowohl als wie die „Schell“.
Von andern Stellen woiß i’s net,
denn früh schon ging ich froh zu Bett.

Na Karle, was saischt jetzt zur Wahl?
Moint Fritz, dui war für uns koi Qual.
Ganz wohl war’s onserm Schul­tes net,
er häb‘ sich manch­mal dreht im Bett.

I‘ hann’s net g’seha, denk mr’s bloß
und jetzt isch er den Druck scho los.
Ja hätt’scht denn denkt, daß s’anders ging?
I‘ g’wiß net, klar war mir des Ding!

Der Karle aber sait dann drauf
„Jetzt paß amol gehörig auf:
Was tät der Misch­te­ne wegsprecha,
dia könntet s’Gnickle ihm scho brecha!

Und guckscht dui Strauß a, dui modern,
gar viele hennt des gar net gern,
denn d’Plätz vorm Haus, Narr dia send flöta,
und kriagt hennt se bloß a paar Kröta.

Wo send no Äcker, wo no Wiesa?
Bloß Bauplätz‘ tun Di heint no grüaßa.
Was moinscht, was des dia Baura freit,
und des no vor der Amts-Wahl-Zeit!

Selbst wenn scho dia von de Verei‘
sich denkt hennt, er sott’s wieder sei,
so geiht’s doch andre no viel mehr,
dia sicher schwan­ket hin und her.“

Doch anders kam’s, sait jetzt der Frieder
und setzt zu dene zwoi sich nieder.
Vernünf­tig sind halt älle gwea,
dia ihm ihr Kreuz­le heut hennt gea.

Denn sia send’s los und er, er hat’s,
doch er isch richtig auf dem Platz!
Koin bessra wüßt i‘ als den Ma,
drom stoßet auf sei Wohl jetzt a!

Diese Verse bringen die Wertschät­zung und den Respekt zum Ausdruck, die Gustav Bosch – sicher­lich zu recht – während seines ganzen Berufs­le­bens in Oberko­chen entge­gen­ge­bracht wurden. Er war eine außer­ge­wöhn­li­che Persön­lich­keit, die Oberko­chen aus der schwe­ren Nachkriegs­zeit geführt und den Wandel vom Dorf zum Unter­neh­mens­stand­ort maßge­bend gestal­tet hatte. Dies wurde auch bei den anschlie­ßen­den Gemein­de­rats- und Kreis­tags­wah­len deutlich, die am 15. Novem­ber 1953 stattfanden.

Obwohl es schon damals starke Ortsver­bän­de von CDU und SPD gab, waren beide Partei­en offizi­ell nicht im Gemein­de­rat vertre­ten. Dies entsprach dem damali­gen Verständ­nis aller politi­schen Kräfte und der Bürger­schaft in Oberko­chen, wonach Partei­en im Gemein­de­rat nicht vertre­ten sein und Partei­po­li­tik in der Kommu­nal­po­li­tik keine Rolle spielen sollten. Bei der Bekannt­ma­chung des Ergeb­nis­ses zur Wahl der Verfas­sungs­ge­ben­den Landes­ver­samm­lung schrieb z.B. Gustav Bosch in

„Bürger und Gemein­de“ am 22. Mai 1953 wörtlich: „Man möchte wünschen, daß auf unserem Rathaus auch künftig­hin wie bisher keine Partei­po­li­tik betrie­ben wird.“

Natür­lich waren die Partei­en aber schon damals über ihre Mitglie­der bzw. Kandi­da­ten im Gemein­de­rat vertre­ten. Es gab eben nur keine eigenen Partei­lis­ten. Auf sie hatte man – zumin­dest noch – zuguns­ten einer überpar­tei­li­chen Kommu­nal­po­li­tik und Gremi­ums­ar­beit verzich­tet. So tauch­te z.B. der SPD-Ortsver­eins­vor­sit­zen­de Josef Marscha­lek auf der Liste der Freien Wähler auf. Dassel­be galt natür­lich auch für CDU-Leute, die z.B. bei der BGO oder auf anderen Listen kandidierten.

Ausweis­lich der Bekannt­ma­chung der Wahlvor­schlä­ge in „Bürger und Gemein­de“ am 30. Oktober 1953 gab es insge­samt drei Listen für die Gemein­de­rats­wahl, nämlich die „Sozia­le Inter­es­sen­ge­mein­schaft der Alt- und Neubür­ger“, die „Freie Wähler­ver­ei­ni­gung“ und die „Bürger­ge­mein­schaft Oberko­chen“. Erste­re bilde­ten vor allem die Kriegs­op­fer und ‑hinter­blie­be­nen, die Heimat­ver­trie­be­nen, Ostzo­nen­flücht­lin­ge und Spätheim­keh­rer. Die Freie Wähler­ver­ei­ni­gung sah sich, wie in anderen Kommu­nen auch, als Bürger­be­we­gung und stell­te ihre Überpar­tei­lich­keit und sachbe­zo­ge­ne Kommu­nal­po­li­tik heraus. Die BGO definier­te sich als Gemein­schaft der Alt- und Neubür­ger, die den Wandel Oberko­chens gemein­sam gestal­tet. Sie „fusio­nier­te“ vor der Kommu­nal­wahl mit den Heimat­ver­trie­be­nen, die bei der voran­ge­gan­ge­nen Gemein­de­rats­wahl noch eine eigene Liste stellten.

Auf die „Bürger­ge­mein­schaft Oberko­chen“ entfie­len 4 von 6 Sitzen, auf die „Freie Wähler­ver­ei­ni­gung“ und die „Inter­es­sen­ge­mein­schaft der Alt- und Neubür­ger“ entfiel jeweils 1 Sitz. Die BGO war seiner­zeit also mit Abstand die stärks­te kommu­nal­po­li­ti­sche Kraft in Oberkochen.

Der Gemein­de­rat bestand damals übrigens aus insge­samt 12 Mitglie­dern. Gewählt wurden 1953 aber nur 6! Dies lag an dem in den 1950er Jahren gelten­den rollie­ren­den Wahlsys­tem, wonach alle 3 Jahre die Hälfte der Gemein­de­rä­te gewählt werden musste. Die Amtspe­ri­ode eines Gemein­de­rats dauer­te 6 Jahre. Mit dem rollie­ren­den System sollte eine gewis­se Konti­nui­tät in der kommu­nal­po­li­ti­schen Arbeit gewähr­leis­tet werden.

Stimmen­kö­nig und 1. Stell­ver­tre­ter des Bürger­meis­ters war seiner­zeit der Kaufmann Sebas­ti­an Fischer. Gewählt wurden weiter­hin Lehrer Josef Menzl, Erwin Betzler, Anton Schell­mann, Landwirt und Gastwirt „Zur Bahnhofs­re­stau­ra­ti­on“, die im Volks­mund als „Schell“ bezeich­net wurde, sowie Karl Renner und Fritz Zygan.

Während bei der Gemein­de­rats­wahl Partei­lis­ten vermie­den wurden, warben CDU, SPD und FDP bei der Kreis­tags­wahl mit eigenen Listen. In der Bekannt­ma­chung in „Bürger und Gemein­de“ am 13. Novem­ber 1953 wurden folg. Wahlvor­schlä­ge für die Kreis­tags­wahl aufgeführt:

  • Die Liste der Wähler­ge­mein­schaft der Heimatvertriebenen,
  • die Liste der SPD,
  • die Liste der FDP, die eine Listen­ver­bin­dung mit der DVP und der Freien Wähler­ver­ei­ni­gung bilde­te, und
  • die Liste der CDU

Neben Josef Mayer (CDU), Josef Marscha­lek (SPD) und Erich Penel­lis (SPD) kandi­dier­te noch ein weite­rer Oberko­che­ner für den Kreis­tag, nämlich Bürger­meis­ter Gustav Bosch. Er stand der CDU nahe und wollte eigent­lich auf ihrer Liste kandi­die­ren. Aller­dings muss es damals partei­in­ter­ne Kämpfe auf Kreis­ebe­ne um die Listen­plät­ze gegeben haben. Vor allem die „Platz­hir­sche“ auf dem Härts­feld, allen voran der damali­ge Bürger­meis­ter von Neres­heim, Anton Hegele, verhin­der­ten einen aussichts­rei­chen Listen­platz des Oberko­che­ner Bürger­meis­ters. So war in der Ausga­be des Amtsblatts „Bürger und Gemein­de“ vom 6. Novem­ber 1953 folg. persön­li­che Stellung­nah­me Gustav Boschs als „quasi-amtli­che Mittei­lung“ zu lesen:

„Der Bürger­meis­ter ist im Wahlkreis V als Spitzen­kan­di­dat der „FDP/DVP und Freien Wähler­ver­ei­ni­gung“ aufge­stellt worden. Er ist dieser Wähler­grup­pe dankbar dafür, daß sie ihn an diesem aussichts­rei­chen Platz nominiert hat, ohne eine Partei­zu­ge­hö­rig­keit zu verlan­gen oder nach einer solchen auch nur zu fragen. Es hätte nahege­le­gen, daß der Bürger­meis­ter auf dem Zettel der größten Wähler­grup­pe unserer Gemein­de erschie­nen wäre. Die für ihn dort vorge­se­he­ne Placie­rung (an zweit­letz­ter Stelle von acht Kandi­da­ten, nach den Vertre­tern von Neres­heim, Elchin­gen, Ebnat, Unter­ko­chen, Schloß­berg und Bopfin­gen) mußte er nicht nur für recht fragwür­dig, sondern auch für die von ihm vertre­te­ne Gemein­de für verlet­zend halten. … Glück­li­cher­wei­se handelt es sich ja … bei den Wahlen zum Kreis­tag ebenso wie bei den Wahlen zum Gemein­de­rat weder um politi­sche noch um weltan­schau­li­che Bekennt­nis­se. Der Bürger­meis­ter darf daher mit dem Verständ­nis der Oberko­che­ner Wähler­schaft rechnen, die ohne jede Ausnah­me daran inter­es­siert sein muß, daß die Gemein­de Oberko­chen bei der derzei­ti­gen Konstruk­ti­on der Kreis­um­la­ge und der fehlen­den eigenen Finanz­aus­stat­tung des Landkrei­ses eine fachkun­di­ge und nachhal­tig wirken­de Vertre­tung im Kreis­tag braucht. Verhel­fen Sie Ihrer Gemein­de – nicht zuletzt im Inter­es­se Ihres eigenen Geldbeu­tels – zur Errei­chung dieses Zieles, indem Sie den Bürger­meis­ter unter allen Umstän­den wählen … .“

Unter heute gelten­den recht­li­chen Maßstä­ben würde eine solche „amtli­che“ Stellung­nah­me des Bürger­meis­ters, die mit einem Wahlauf­ruf, oder besser gesagt mit einer Wahlemp­feh­lung verbun­den war, zur Ungül­tig­keit der Wahl führen. 60 Jahre zuvor war das wohl noch anders.

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Amtli­cher Wahlauf­ruf des Bürger­meis­ters Gustav Bosch zur Kreis­tags­wahl 1953, die er mit einer persön­li­chen Wahlwer­bung verband.

Nichts­des­to­trotz zeigte das Verhal­ten Gustav Boschs Wirkung. Laut vorläu­fi­gem Ergeb­nis der Kreis­tags­wahl, das am 20. Novem­ber 1953 in „Bürger und Gemein­de“ veröf­fent­licht wurde, erreich­te er das viert­bes­te Wahler­geb­nis im Landkreis Aalen (den Ostalb­kreis gab es damals noch nicht) und lag weit vor den Härts­fel­der CDU-Kolle­gen Anton Hegele (Neres­heim) und Ludwig Kienin­ger (Ebnat).

Die CDU in Oberko­chen war ob der Vorgän­ge im Vorfeld der Kreis­tags­wahl und des Ergeb­nis­ses natür­lich nicht beson­ders glück­lich. Ihr eigener Kandi­dat, Josef Mayer, erreich­te zwar ein gutes Ergeb­nis, hatte aber keine Chance, in den Kreis­tag einzu­zie­hen. Und der ihr naheste­hen­de Bürger­meis­ter musste auf einer anderen Liste kandi­die­ren und schlug die eigenen Partei­leu­te auf dem Härts­feld dennoch haushoch.

Trotz allem änder­te dies an dem guten Verhält­nis zwischen Bürger­meis­ter und CDU in Oberko­chen nichts. In einem „Dank an die Wähler“, der am 27. Novem­ber 1953 in „Bürger und Gemein­de“ erschien, dankte die CDU-Ortsgrup­pe für die bürger­schaft­li­che Solida­ri­tät mit dem Bürger­meis­ter und bat die Bürger­schaft, ihn bei seiner Arbeit im Kreis­tag zu unter­stüt­zen. Dies zeigte ein weite­res Mal die enge Verbun­den­heit zu Gustav Bosch und die Wertschät­zung, die ihm über alle Partei­en hinweg entge­gen­ge­bracht wurde.

Nur als kleine Randno­tiz sei erwähnt, dass es in der frühen Geschich­te der Landkrei­se (sie wurden erstmals 1946 als Gebiets­kör­per­schaf­ten insti­tu­tio­na­li­siert) neben dem Landrat und dem Kreis­tag noch ein weite­res Organ gab, nämlich den Kreis­rat. Während der Kreis­tag aus einer Volks­wahl hervor­ging, wurde der Kreis­rat, das eigent­lich entschei­den­de Gremi­um, aus der Mitte des Kreis­tags gewählt. Heute gibt es diese Zweitei­lung nicht mehr. Der Kreis­tag ist das allei­ni­ge Haupt­ver­wal­tungs­or­gan des Landkreises.

Das Jahr 1953 endete in Oberko­chen mit der letzten Amtsblatt­aus­ga­be am 31. Dezem­ber. Bürger­meis­ter Gustav Bosch verwies in seinem Rückblick auf die erfolg­rei­che Arbeit des Jahres und erinner­te an die zahlrei­chen Bau- und Straßen­bau­vor­ha­ben, u.a. auch an die Neubau­ten der sog. Diöze­san­sied­lung, den neuen Kirch­turm (der evange­li­schen Kirche) und an den Rohbau des Schwes­tern­hau­ses, der vor Winter­ein­bruch mit einem Dach verse­hen werden konnte. Man blick­te, wie heute, optimis­tisch in die Zukunft, wenngleich die Aufga­ben sich grund­le­gend verän­dert haben.

Peter Traub
(Bürger­meis­ter)

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