Am 19. und 20. Septem­ber 1866 herrsch­te gespann­te Erwar­tung in Oberko­chen. Hohe Beamte der Regie­rung des Jagst­krei­ses aus Ellwan­gen und des Oberam­tes Aalen waren im Ort. Für alle Bürger des Ortes bestand für den 20. Septem­ber ab 9.00 Uhr Anwesen­heits­pflicht. Wer ohne trifti­gen Grund abwesend war, mußte mit einer Geldbu­ße von 3 Gulden rechnen. In einem seit fast vierzig Jahren schwe­len­den, alle Gemein­de­bür­ger berüh­ren­den Rechts­streit schien eine Lösung in greif­ba­re Nähe gerückt zu sein.

Seit dem 16. Jhdt. hatte es in Oberko­chen 89 bzw. (seit dem »Aalener Proto­koll« von 1749) 93 »Gemein­de­ge­rech­tig­kei­ten« gegeben, die auf den ursprüng­li­chen Hofstel­len des Dorfes lagen. Allein ihre Inhaber waren zur Holznut­zung in den um den Ort gelege­nen Gemein­de­rechts­wäl­dern berech­tigt, hatten anderer­seits aber auch eine Reihe öffent­li­cher Lasten wie Wege‑, Brücken- und Brunnen­un­ter­halt, die Stellung des Brenn­hol­zes für das Rathaus und für die Hebam­me, den Polizei­die­ner und den Hirten zu tragen.

Bis zum Beginn des 19. Jhdts. war die »Gemein­de« ein vorwie­gend wirtschaft­li­cher, unter stren­ger staat­li­cher Aufsicht stehen­der Zweck­ver­band gewesen, zu dessen Haupt­auf­ga­ben die Verwal­tung des Gesamt­hand­ei­gen­tums an den Allmend­flä­chen (u.a. Wälder, Weiden) gehör­te. Durch die Stein-Harden­berg­schen Refor­men in Preußen wurde dagegen die »politi­sche Gemein­de« als Selbst­ver­wal­tungs­kör­per­schaft aller Gemein­de­bür­ger und unters­ter Baustein eines allmäh­lich zu demokra­ti­sche­ren Formen streben­den Staats­ge­bil­des neu geschaf­fen. Auch in Württem­berg wurden diese Reform aufgegriffen.

Die neue »politi­sche« Gemein­de stand nun in vielen Orten, wo es Gemein­de- oder Realrech­te in der Almen­d­nut­zung gab, neben der »Realge­mein­de«. Damit kam überall eine Diskus­si­on auf, wem das Eigen­tum an den Allmen­den zuste­he: den Nutzungs­be­rech­tig­ten, deren Rechte unbestrit­ten waren, oder der politi­schen Gemein­de, die aber, um selbst die Nutzung dieses Eigen­tums wahrneh­men zu können, erst die Nutzungs­rech­te ablösen mußte, denn mit diesen belas­tet, war das Eigen­tum kaum etwas wert. Da in Oberko­chen Gemein­de­rä­te, Schult­heiß und Mitglie­der des Bürger­aus­schus­ses fast alle Realrechts­in­ha­ber waren, waren diese Organe der politi­schen Gemein­de aller­dings in dieser Ausein­an­der­set­zung befan­gen. Ihre Vertre­tung und hierbei insbe­son­de­re der Inter­es­sen der nicht­be­rech­tig­ten Bürger mußte deshalb vom Oberamt als kommu­na­ler Aufsichts­be­hör­de übernom­men werden. Nach etwa 40 Jahren des Rechts­streits, zeich­ne­te sich nun im Jahr 1866 durch die Vermitt­lungs­be­mü­hun­gen des Ellwan­ger Regie­rungs­ra­tes Weinhei­mer und das Engage­ment des König­li­chen Revier­förs­ters Knorr aus Oberko­chen endlich eine Lösung ab.

Oberkochen

Am 19. und 20. Septem­ber fand eine wahre Pendel­di­plo­ma­tie Weinhei­mers zwischen den Gemein­de­or­ga­nen, den realbe­rech­tig­ten und den nicht­be­rech­tig­ten Bürgern statt. Schließ­lich verzich­te­te man darauf, das Verhält­nis von Nutzungs­recht und Eigen­tum an den Allmen­den juris­tisch exakt zu klären und schloß vielmehr einen alle Seiten befrie­di­gen­den Kompro­miß: Die Allmen­den Oberko­chens wurden aufge­teilt. Die Realbe­rech­tig­ten erhiel­ten den aller­größ­ten Teil des Waldes, an dem sie unbestrit­te­n­er­ma­ßen umfas­sen­de Nutzungs­rech­te besaßen, die Gemein­de erhielt die übrigen Allmen­den (u.a. Volkmars­berg, Heide, Bilz- und Riesen­mäh­der) und eine Entschä­di­gung von 16.000 Gulden für die bisher von den Realrechts­in­ha­bern getra­ge­nen öffent­li­chen Lasten. Die Realrechts­in­ha­ber mußten allen anderen Bürgern Oberko­chens das Recht zusichern, in gleichem Maße wie sie selbst Leseholz, Buchele, u.ä. zu sammeln und Laubstreu nutzen zu dürfen.

Die wichtigs­te Neben­be­stim­mung des Kompro­mis­ses war jedoch die Verpflich­tung der Realbe­rech­tig­ten unter­ein­an­der und gegen­über der Gemein­de, den ihnen als Eigen­tum übertra­ge­nen Wald weder durch Teilung noch durch Veräu­ße­rung zu verstü­ckeln. In vielen anderen Gemein­den wählte man bei der Ausein­an­der­set­zung über das Allmend­ei­gen­tum den vorder­grün­dig einfa­che­ren Weg, die Allmen­den unter die berech­tig­ten Bürger zu vertei­len. Gerade im Wald entstan­den dabei oft die Bewirt­schaf­tung bis heute sehr erschwe­ren­de ungüns­ti­ge Parzel­len­for­men und ‑größen, die häufig nur durch Einsatz beträcht­li­cher öffent­li­cher Förder­mit­tel für Waldflur­be­rei­ni­gun­gen und andere struk­tur­ver­bes­sern­de Maßnah­men zu mildern sind.

Alle Bürger Oberko­chens, ob berech­tigt oder nicht­be­rech­tigt, stimm­ten schließ­lich am 20. Sept. 1866 dem erziel­ten Kompro­miß zu.

Wie wichtig die klare Regelung von Eigen­tums­fra­gen für das Funktio­nie­ren einer demokra­ti­schen Gesell­schaft und einer markt­wirt­schaft­li­chen Ordnung ist, haben wir in Deutsch­land in den vergan­ge­nen Monaten seit der Verei­ni­gung immer wieder erfah­ren. Nicht gerin­ger als die klare Regelung des Eigen­tums an den Allmen­den muß man aber die Tatsa­che einschät­zen, daß es hinfort nur noch eine »Gemein­de« (nämlich die politi­sche) gab, deren Bürger gleiche Rechte und Pflich­ten hatten.

Die Verpflich­tung, die Wälder nicht zu teilen, machte nun die Gründung der Realge­nos­sen­schaft erfor­der­lich. Sie erfolg­te am 22. Dezem­ber 1866, als die Realrechts­in­ha­ber unter Vorsitz von Revier­förs­ter Knorr erstmals zusam­men­tra­ten, ihrer neuzu­grün­den­den Genos­sen­schaft Statu­ten gaben und einen neunköp­fi­gen Verwal­tungs­aus­schuß wählten. Ihm gehör­ten die Bauern Josef Grupp, Chris­ti­an Schnei­der und Josef Schmid, Johan­nes Fischer (Hafner), Micha­el Gold (Ziegler), Heinrich Seitz (Sattler­meis­ter), Fried­rich Leitz (Schlei­fer­meis­ter), Xaver Geißin­ger (Bäcker­meis­ter) und Johan­nes Mahler (Gärtner) an. Erster Obmann wurde Heinrich Seitz, Rechner Jacob Sapper (Hafner­meis­ter), Waldmeis­ter Revier­förs­ter Knorr und Waldschütz Franz Kopp.

1991 kann die Realge­nos­sen­schaft Oberko­chen nun auf ihr 125-jähri­ges Bestehen zurück­bli­cken. Diese 125 Jahre waren durch­aus wechsel­voll. Auf ihre Gründung folgte eine dynami­sche Anfangs­pha­se unter der techni­schen Leitung von Revier­förs­ter Knorr, in der der zuvor arg herun­ter­ge­wirt­schaf­te­te und aufgrund der Waldwei­de von zahlrei­chen unbestock­ten Flächen durch­lö­cher­te Wald mit viel Geschick wieder in Besto­ckung gebracht wurde. Diese Dynamik der Anfangs­jah­re konnte leider nicht beibe­hal­ten werden und vieles damals positiv Begon­ne­ne schlief in den Folge­jah­ren ein.

Die erste Hälfte des 20. Jhdts. war für die Genos­sen­schaft maßgeb­lich geprägt von der Neuori­en­tie­rung der Waldbe­wirt­schaf­tung. Schon in der heute gülti­gen Satzung war vorge­se­hen, daß die Staats­forst­ver­wal­tung um Übernah­me der Betriebs­lei­tung gebeten werden solle, was für die anspruchs­vol­le­re, auf Nutzholz­erzeu­gung mit langen Produk­ti­ons­zeit­räu­men von 120 Jahren und mehr gerich­te­te Hochwald­wirt­schaft sicher vorteil­haft gewesen wäre. Davon wurde jedoch erst 1956 Gebrauch gemacht. Der Übergang zur Hochwald­wirt­schaft wurde dann erst Anfang der 1930er Jahre durch das bestän­di­ge Arbei­ten des damali­gen Vorstan­des, Gärtner­meis­ter Mahler, in enger Zusam­men­ar­beit mit dem seiner­zei­ti­gen Geschäfts­füh­rer des Waldbe­sit­zer­ver­ban­des, Dr. Danne­cker, einge­lei­tet, konnte aber letzt­lich erst in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg vollzo­gen werden. Brenn­holz­um­la­gen nach den beiden Weltkrie­gen, die die Genos­sen­schaft auch finan­zi­ell schwer belas­te­ten, warfen die Bemühun­gen um die Neuori­en­tie­rung der Waldbe­wirt­schaf­tung ebenfalls zurück.

Nach 1945 begann die Entwick­lung der Realge­nos­sen­schaft zu einem moder­nen Forst­be­trieb. Die Genos­sen­schaft unter Vorstand Anton Balle und das Forst­amt unter der Leitung von Oberforst­meis­ter Pfizen­may­er schaff­ten es, das lange vorhan­de­ne Mißtrau­en zwischen Realge­nos­sen­schaft und Landes­forst­ver­wal­tung abzubau­en und eine frucht­ba­re Zusam­men­ar­beit zu begin­nen. Binnen weniger Jahre wurde ein neuer Wirtschafts­plan erstellt, der Übergang zur Hochwald­wirt­schaft vollendet, ein Beförs­te­rungs­ver­trag mit dem Staat­li­chen Forst­amt abgeschlos­sen und ein ehrgei­zi­ges Wegebau­pro­gramm begon­nen, das Voraus­set­zung u.a. für die wirtschaft­li­che und gleicher­ma­ßen pflege­ri­sche Bewirt­schaf­tung der vielen Hangla­gen war und ist.

Heute umfaßt der Realwald 878 ha. Jährlich werden rd. 5.100 fm Holz genutzt. 77 % des Waldes sind mit Laubbäu­men bestockt, wobei die auf der Alb von Natur aus heimi­sche Buche vorherrscht. Dies soll auch langfris­tig so bleiben. Die gerin­ge Quali­tät der aus der Mittel­wald­wirt­schaft noch vorhan­de­nen Buchen­stock­aus­schlag­be­stän­de und die extrem ungüns­ti­ge Erlös­si­tua­ti­on der Buche in den 60er Jahren haben es der Genos­sen­schaft nicht leicht gemacht, sich zu dieser Baumart und ihrer Erhal­tung auf großer Fläche zu entscheiden.

Doch der Realwald erfüllt nicht nur Aufga­ben für seine Eigen­tü­mer. Er erbringt auch wichti­ge Leistun­gen für die Gesell­schaft. Rund 57 % des Realwal­des sind Boden­schutz­wald: Die Hangwäl­der schüt­zen die gerade in den Jahren nach dem zweiten Weltkrieg an den Hängen hochge­zo­ge­nen Wohnsied­lun­gen Oberko­chens, indem die dauer­haf­te Waldbe­de­ckung die Hänge gegen Erosi­on festigt und gegen Stein­schlag schützt.

99 % des Realwal­des erfül­len Wasser­schutz­auf­ga­ben, etwas über 40 % sind sogar förmlich in Wasser­schutz­ge­bie­te einbe­zo­gen. Auf dem verkars­te­ten Jurage­stein der Alb garan­tiert allein der Wald aufgrund der Filter­wir­kung der Baumschicht und des Waldbo­dens das Einsi­ckern saube­ren Wassers in das Grund­was­ser, das wieder­um in zahlrei­chen Brunnen auch auf Oberko­che­ner Markung als Trink­was­ser gewon­nen wird. Nicht verges­sen darf man auch, daß in den Wäldern unserer Heimat zahlrei­che wildle­ben­de Tiere und Pflan­zen einen Lebens­raum finden, der durch die gesetz­li­che Verpflich­tung zu einer nachhal­ti­gen, pfleg­li­chen und die Belan­ge der Umwelt­vor­sor­ge berück­sich­ti­gen­den Waldbe­wirt­schaf­tung langfris­tig gesichert ist.

Es gibt wohl kaum einen Oberko­che­ner, der nicht regel­mä­ßig zur Erholung seine Schrit­te durch den Realwald lenkt und auch viele Gäste aus nah und fern die z.B. auf den Volkmars­berg wandern, nehmen von Oberko­chen den Eindruck einer in herrli­che Wälder einge­bet­te­ten Stadt mit.

Bei allen diesen vielfäl­ti­gen Leistun­gen des Waldes muß aber immer wieder darauf hinge­wie­sen (hier fehlt ein Stück) … Waldbe­sit­zer die Mittel einbringt die er für die Waldbe­wirt­schaf­tung und damit auch die Bereit­stel­lung aller anderen Leistun­gen des Waldes für die Allge­mein­heit benötigt.

Die 93 Realrech­te befin­den sich heute im Eigen­tum von 154 Perso­nen, die nach wie vor zum aller­größ­ten Teil in Oberko­chen und der näheren Umgebung leben. Mit Stolz dürfen die Mitglie­der der Realge­nos­sen­schaft heute auf das in 125 Jahren Erreich­te zurück­bli­cken. Dieses Jubilä­um ist für die Genos­sen­schaft aber nicht nur mit einem Rückblick verbun­den, sondern auch mit einem hoffnungs­vol­len Blick voraus. Denn 125 Jahre sind für Menschen ein sehr langer Zeitraum, für den Wald nicht einmal ein Baumal­ter. Hier gilt in beson­de­rer Weise, daß Eigen­tum verpflich­tet, und zwar nicht nur gegen­über den heute Leben­den, sondern auch gegen­über den nachkom­men­den Genera­tio­nen, die einmal das ernten werden, was die heuti­ge Genera­ti­on sät.

Chris­toph Schurr

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